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Erwerbslosigkeit
 
 
 
- eine unvollständige Zusammenfassung -

 
 
 
 
 
 
Im Armutsbericht der Bundesregierung heißt es: "Der sich in vielen Branchen vollziehende Strukturwandel, die Herausbildung neuer Berufsfelder, die veränderte Beschäftigungsstruktur sowie die im Zuge der deutschen Einheit in den neuen Ländern wegbrechenden Wirtschaftsstrukturen und die daraus resultierende Arbeitslosigkeit führten bis 1998 zu tiefgreifenden Veränderungen am Arbeitsmarkt. In der Folge stieg die Arbeitslosigkeit von 1973 bis 1998 von rd. 220 000 auf rd. 4,3 Mio. im Jahresdurchschnitt an."
 
 
 

Die Folgen der Erwerbslosigkeit

1.) Finanzielle Belastungen - Armut
Arbeitslose und ihre Angehörigen gehören zu den Gruppen, die am stärksten von Armut betroffen sind. Mit dem Arbeitsplatzverlust fällt oft die finanzielle Existenzgrundlage weg. Wer in dieser Gesellschaft kein Vermögen besitzt, ist auf den Verkauf der Arbeitskraft angewiesen. Dem steht entgegen, daß es nicht ausreichend Arbeitsplätze gibt. So ist der Erwerbslose wiederum auf staatliche Unterstützung angewiesen. Es entsteht ein neues Abhängigkeitsverhältnis. Da die Erwerbslosenunterstützung oft knapp bemessen ist und mit längerer Dauer der Erwerbslosigkeit abnimmt, stellt sich Erwerbslosigkeit als Geldproblem dar. Das durchschnittliche Arbeitslosengeld betrug in der Bundesrepublik 1988 lediglich 46% und der Arbeitslosenhilfe 37% des durchschnittliche Nettoverdienstes eines Beschäftigten. Erwerbslosigkeit ist die häufigste Ursache für Armut. Das Konsumiveau wird abgesenkt, persönliche Ausgaben werden eingeschränkt, viele Erwerbslose geraten mit Zahlungsverpflichtungen in Verzug, die Verschuldung nimmt zu. Gezwungener Wohnungswechsel bis hin zu mangelhafter Ernährung sind Folgen der finanziellen Einbußen, obwohl man betonen muß, daß immer mehr Erwerbstätige prekär beschäftigt sind und auch mit geringen Löhnen auskommen müssen. Armut trotz Arbeit wird zur Normaliät. Ob mit oder ohne Arbeit, für einen zunehmenden Bevölkerungsteil bedeutet das ein Leben in Armut. Das größte Armutsrisiko tragen allerdings Dauerarbeitslose aufgrund der Arbeitslosigkeitsrutsche. Mit zunehmender Dauer der Erwerbslosigkeit werden die Leistungen abgesenkt, womit die Erwerbslosen abgestraft werden. Viele Erwerbslose gehen den Weg vom Arbeitslosengeld, zur Arbeitslosenhilfe und ergänzenden Sozialhilfe oder sind nach Ausbildung oder Selbständigkeit gleich Sozialhilfebezieher. Die Sozialhilfe hat ein schlechtes Image. Es muß nicht nur die Bedürftigkeit bewiesen werden, die Sozialhilfebezieher müssen auch als würdige Klienten auftreten. Am Ende der Rutsche angekommen, sollen Sozialhilfebezieher durchaus die Repressivität des Sozialstaates zu spüren bekommen, häufig wird Faulheit unterstellt. Es wird von einer Armutsfalle gesprochen. Aus beschäftigungspolitischer Sicht gebe es für erwerbsfähige Leistungsempfänger keine oder keine ausreichenden monetären Anreize, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Im Armutsbericht der Hans-Böckler-Stiftung, des DGB und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes werden die fehlenden Arbeitsanreize in der Sozialhilfe bestritten, von einem "Sich-Einrichten" in der Sozialhilfe könne keine Rede sein. Die Sozialhilfe ist so knapp bemessen und der Bezug so diskriminierend, daß niemand sich freiwillig darin einrichtet. Laut Armutsbericht der Bundesregierung bezogen Ende 1998 2,88 Millionen Menschen Sozialhilfe, davon 1,1 Millionen Kinder. 28,1 % der alleinerziehenden Frauen erhält Sozialhilfe. 40,2% der Sozialhilfebezieher im Alter von 15-64 Jahren sind erwerbslos. Von Armut betroffen sind im alten Bundesgebiet Arbeitslosenhaushalte, bei denen beide Haushaltsvorstände arbeitslos sind. Sehr hoch ist die Armutsquote auch bei Haushalten mit einem Arbeitslosen und einem prekär Beschäftigten. Im alten Bundesgebiet tragen vor allem arbeitslose Paarhaushalte mit minderjährigen Kindern ein überdurchschnittliches Armutsrisiko, während in den neuen Bundesländern die Armut in Einelternhaushalten und Singlehaushalten besonders hoch ist. Die Studie der Hans-Böckler-Stiftung, des DGB und des DPWV bestätigt die These, daß Armut in der Bundesrepublik vor allem eine Armut von Familiehaushalten ist. Mehrere Kinder zu versorgen wird zu einem Einkommensproblem, weil der Einkommensbedarf steigt, aber wegen der Kindererziehung eine Vollzeittätigkeit beider Elternteile nur schwer möglich ist. Erwerbstätigkeit und Kindererziehung miteinander zu vereinbaren, ist für Alleinerziehende besonders schwierig. 14% aller Kinder, 30% aller Alleierziehenden-Haushalte und rund 20% aller Familien mit drei und mehr Kindern gelten als arm. Einkommensarm sind nach dem Bericht Bürger, deren Einkommen weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens der Bevölkerung betrug. Pro Person waren dies in den alten Bundesländern 1038 Mark monatlich, in den neuen Bundesländern 855 Mark.
 
2.) Familiäre Belastungen
Die familiäre Dynamik kann durch die Erwerbslosigkeit und besonders Armut negativ beeinflußt werden. Die Armut hat häufig auch Auswirkungen auf Familienangehörige. Die finanziellen Einschränkungen führen zu seelischen Belastungen und zu innerfamiliärer Spannung. Erwerbslose haben oft ein Gefühl der fehlenden Akzeptanz durch die Familie. Väter werden weniger als Vorbild angesehen. Durch die häufige Präsenz im Haushalt können Beziehungsprobleme entstehen. Auch das Erziehungsverhalten ändert sich oft, besonders der Vater kann autoritäre Verhaltensweisen zeigen. Gewalt in Erwerbslosenhaushalten ist keine Seltenheit, Gewalt gegen Frauen und Kindesmißhandlungen nehmen zu. Der Anstieg familiärer Konflikte während der Erwerbslosigkeit ist mit einem Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben verbunden. Unter der sozialen Isolation der Familie leiden besonders die Kinder. Sie leiden ebenso unter den Geldproblemen. Das Geld für Kontakte mit Gleichaltrigen fehlt häufig. Kinder werden ausgeschlossen von Gemeinschafts-Veranstaltungen Gleichaltriger, gezwungen zum Verzicht hinsichtlich von Freizeitaktivitäten, Kleidung, Spielzeug u. a. und werden so zu Außenseitern. In der Schule werden sie stigmatisiert. Hierbei muß man allerdings differenzieren. Es gibt soziale Brennpunkte, wo Erwerbslosigkeit und Armut normal sind. Wer sollte sie dort stigmatisieren, vielleicht die Mittelschichtslehrer? Nur wenn sie dort aufgrund der Armut und Familienprobleme durch abweichendes Verhalten auffällig werden, beginnen auch in der Schule die Probleme. In der Literatur wird behauptet, Erwerbslosigkeit wird sozial vererbt. Viele Kinder Erwerbsloser hätten negative Schulkarrieren, geringe Qualifikation führe wiederum zu häufiger Erwerbslosigkeit. Dabei muß man allerdings beachten, daß auch immer mehr Akademiker und Akademikerinnen von Erwerbslosigkeit betroffen sind, die wiederum auf die Bildungskarriere ihrer Kinder achten. Und auch eine gute Qualifikation schützt heute nicht mehr vor Erwerbslosigkeit. Auffällig in der Literatur ist, daß Erwerbslosigkeit zumeist mit der Unterschicht in Zusammenhang gebracht wird, diese Theorien sind veraltet. Das Problem ist doch meistens die Armut, so erhalten viele erwerbslose Akademiker und Akademikerinnen zusätzlich Unterstützung durch Angehörige und sind durch ihre Kompetenzen in der Lage, Erwerbslosigkeit besser zu bewältigen. So kann auch bei Erwerbslosigkeit eine gute familiäre Atmosphäre herrschen. Und auch die Kinder können gute Schulkarrieren haben. Die soziale Vererbungslehre ist nicht nur vereinfachend, sondern auch diffamierend. Wenn aufgrund der Erwerbslosigkeit und Armut Familienprobleme auftreten, werden in der Literatur folgende Störungen bei Kindern mitgeteilt: Minderwertigkeitsgefühle, Entwicklungsstörungen, psychosomatische Beschwerden, schwerwiegende nervöse Symptome, funktionelle Störungen ohne feststellbare organische Ursachen, kriminelle Delikte. Kleine Kinder weisen regressive Symptome auf, z.B. Bettnässen, Schlafstörungen, Nägelkauen, Autoaggression. Schulkinder seien resigniert und entmutigt bei zunehmender Arbeitslosigkeitsdauer. Die emotionalen Probleme in der Familie würden die Kinder von der schulischen Mitarbeit ablenken, die Folge sei die Verschlechterung der Schulleistungen. Die Eltern hätten dabei oft ein geringes Interesse an Schulleistungen, wobei wir wieder bei dem Vorurteil über die Unterschicht wären. Oder wer hat in dieser Gesellschaft ein geringes Interesse an dem Bildungsweg der Kinder? In einer Gesellschaft, in der immer mehr Kinder studieren, um überhaupt eine berufliche Chance zu haben. Das Problem ist doch nicht das Desinteresse an der Bildungskarriere der Kinder, sondern die Angst vor der Stigmatisierung der Kinder durch Schüler und Lehrer. Die Erwerbslosigkeit wird so lange wie möglich verschwiegen und vertuscht. Die Familie wird zum Auffangbecken für soziale Probleme, die von der Gesamtgesellschaft verursacht werden. Soziale Unterstützung ist ein wichtiger Faktor, der die Verarbeitung von Erwerbslosigkeit erleichtert. Besonders Alleinerziehende leiden unter einer isolierten Situation. Viele erwerbslose Eltern fühlen sich der Verantwortung für ihre Kinder nicht mehr gewachsen. Kinder leiden besonders, wenn es in einer Gruppe deutliche Unterschiede im Wohlstandsniveau gibt. Sie befürchten um ihre soziale Anerkennung, Minderwertigkeitskomplexe sind zu erwarten. Vielfach wird die Familie als Gegenbild für die Arbeitswelt entworfen, als Schutzraum, in den sich die Erwerbstätigen nach der Arbeit zurückziehen können. Dieser Schutzraum, so er tatsächlich existieren sollte, wird jedoch zum Käfig, wenn die Arbeitswelt als Gegenentwurf fortfällt.
3.) Psychosoziale Belastungen
Gerade was diesen Bereich betrifft, gibt es eine Vielzahl von fragwürdigen Theorien, von der Marienthal-Studie bis zur idealtypischen Phasentheorie von Kieselbach und Wacker. Danach gebe es 4 Phasen, die ein Erwerbsloser durchlaufe. Zunächst den Schock des Arbeitsplatzverlustes, danach wird der Betroffene von einer Phase des Optimismus erfasst. Bleiben seine Bemühungen erfolglos, folge ein durch Geldsorgen, Langeweile, sinkendes Selbstwertgefühl und mit der Dauer der Arbeitslosigkeit subjektiv wie objektiv ständig sinkende Aussicht auf Arbeit begründetes weiteres psychisches Tief, die Phase des Pessimismus. In dieser Phase ist die Selbstmordgefährdung besonders groß. Da ein psychisches Überleben mit einer solchen Befindlichkeit kaum möglich erscheine, gehe diese Phase in ein Stadium des Gleichmutes, in Fatalismus über. Es wird behauptet, diese Phase sei zum Überleben wichtig. Angesichts der Tatsache, daß dieser Fatalismus der Erwerbslosen ihre Selbstorganisation und auch politische Mobilisierung verhindert, ist diese schicksalsgegebene Rechtfertigung des Fatalismus selbst fatal. Mit dieser fatalistischen Einstellung werden die Erwerbslosen auch nichts verändern, 4 Millionen Erwerbslose könnten schon etwas bewirken. Auch die Zwangsläufigkeit dieses Modells ist zu bezweifeln. Natürlich wird fast jede/r Erwerbslose solche Phasen schon erlebt haben, aber wo bleiben jene, die Erwerbslosigkeit relativ gut bewältigen. Oder jene, die ihre Arbeit als deprimierend erlebt haben usw. Die Verarbeitung der Erwerbslosigkeit ist sehr stark von individuellen Einflüssen abhängig. Folgende Faktoren können angeführt werden, die psychisch belastend wirken können: reduziertes Einkommen, Einschränkungen im Hinblick auf soziale Kontakte und Freizeiterlebnisse, verringerte Möglichkeiten, seine Fähigkeiten einzusetzen und zu entwickeln, Ansteigen psychisch unangenehmer und bedrohlicher Erfahrungen, z.B. durch wiederholte Ablehnungen von Bewerbungen, Zukunftsungewißheit und anderes. Die persönliche Verarbeitung der Arbeitslosigkeit wird erheblich beeinflußt durch Alter, Geschlecht, Familienrolle, Dauer der Erwerbslosigkeit, das Ausmaß der finanziellen Belastungen, die Berufsorientierung, Bildungsniveau, das allgemeine Aktivitätsniveau, soziale Unterstützung, soziale Schichtzugehörigkeit und anderes. Laut Kieselbach sind folgende Erkrankungen von Erwerbslosen zu benennen: Veränderungen des Blutdruckes und des Körpergewichtes, Störungen des vegetativen Nervensystems, Schwächung des Immunsystems, Anstieg von Nervosität, Ängstlichkeit, Gereiztheit, depressive Verstimmungen, Konzentrations- und Schlafstörungen, Zunahme psychosomatischer Erkrankungen (Magen-Darm-Erkrankungen, asthmatische Beschwerden, Rücken- und Kopfschmerzen, Gelenkrheumatismus), Zunahme von Suiziden und Suizidgefährdungen. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Gerade an diesem Punkt wird unendliches Leiden in der Literatur bildlich, eine Steigerung der Dramatisierung ist nicht möglich. Deprivation, Gleichgültigkeit, Interessenverlust, Neigung zu Selbstentschuldigungen, Selbstunsicherheit, Störung des Kritikvermögens. Nahezu alle Forschungsergebnisse bekräftigen, daß Erwerbslosigkeit mit einer Vielzahl von Symptomen psychologischer Verunsicherung verbunden ist: Gefühle der Nutz- und Wertlosigkeit, Fehlen von Zeit- und Zielstrukturen, Depressionen, Angst, Verringerung bzw. Zerstörung des Selbstbewußtseins und Selbstwertgefühls, Schuldgefühle und -zuschreibungen, soziale Isolation, Vereinsamung, familiäre Spannungen, sozialer Abstieg, Stigmatisierung, Kontaktschwierigkeiten, Resignation, psychosomatische Beschwerden, Ansteigen psychisch unangenehmer und bedrohlicher Erfahrungen, Zukunftsungewißheit, erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten, emotionale Labilität, Schlafstörungen, Apathie, Resignation und die Spitze des Eisberges: Realitätsverlust infolge der Tendenz "sich eine eigene (Schein-)Welt aufzubauen und unsoziale Verhaltensweisen zuzulassen". Zentrale Belastungsfaktoren der Erwerbslosigkeit seien (Sozialmagazin 1997,Heft 4):finanzielle Einschränkungen, Zukunftsungewißheit, Probleme mit der Verwendung und Strukturierung der Zeit, Verlust von Anregungen, sozialer Anerkennung und persönlichem Selbstwert, eingeschränkte Umweltkontrolle und Veränderungen von sozialen Beziehungen. Vieles mag übertrieben sein und von der Wertewelt der Mittelschicht beeinflußt, Tatsache ist, daß "Glückliche Arbeitslose" in dieser Gesellschaft äußerst selten sind. Erfahrungen in einem niedrigschwelligen Erwerbslosenprojekt zeigen, daß Langzeiterwerbslose vor allem mit Geldsorgen, Isolation, geringerem Selbstwertgefühl, Sucht und Perspektivlosigkeit zu kämpfen haben. Auch jene Erwerbslose, die sich in ehrenamtliche Arbeit stürzen, werden ihre Geldprobleme und die Zukunftsungewißheit nicht los. Da kann Arbeit umbewertet werden (z.B. in Beziehungsarbeit), was zählt ist die Bezahlung der Arbeit und bezahlte Arbeit wird immer knapper. Das macht viele hoffnungslos. "Arbeit ist die beste Medizin" ist folglich das Ergebnis der Studie "Soziale Lage und Gesundheit" in Berlin-Hohenschönhausen. Angesichts der Tatsache, daß es immer weniger Normalarbeitsverhältnisse gibt und die prekäre Beschäftigung zunimmt, ist diese These fatal. Leiharbeit, Minijobs, Scheinselbständigkeit - die Hartzer Front- sind die Zukunftsrealität der jetzt Erwerbslosen. Viele werden in die Krankheit flüchten. Viele gerade Langzeiterwerbslose werden den Anforderungen nicht gewachsen sein. Gerade Professionellen in der sozialen Arbeit ist die Zeitstrukturierung der Erwerbslosen wichtig. Der Wechsel von Arbeit und Freizeit geht verloren. Erwerbslose haben viel Freizeit, aber wenig Geld. Trotz großem Kontingent an freiverfügbarer Zeit müssen Erwerbslose viele Freizeitmöglichkeiten einschränken oder aufgeben. Die Sozialkontakte werden reduziert, der Handlungsraum eingeengt, es besteht die Gefahr der Abkapselung. Freizeit ist in dieser Gesellschaft zumeist mit Konsum verknüpft, den sich Erwerbslose nicht mehr leisten können. Die Zeit wird zu einem umstrukturierten Kontinum ohne Abwechselung und ohne Besonderheiten. Die freie Zeit wird zum Problem. Vielen Erwerbslosen fällt die Decke auf den Kopf, weil sie gezwungen sind, zu Hause zu bleiben. Der Tagesablauf entstrukturiert sich, die Zeit wird totgeschlagen vor dem Fernseher mit der Bierdose in der Hand, wie das Klischee besagt. So stellt man sich den typischen Arbeitslosen vor. Auch die Sozialpädagogen. Das es Erwerbslose gibt, die mit Arbeit eingedeckt sind, können sie sich nicht vorstellen. Aber es gibt sie und ihre Zahl wird steigen. Mit der Abnahme bezahlter Arbeit nimmt die unbezahlte Arbeit zu. Viele Projekte leben davon. Auch hier ist ein Umdenken notwendig. Für viele ist die Arbeit Ablenkung von der Leere, die sie in ihrer Freizeit empfinden. Viele besitzen nicht die Fähigkeit, freie Zeit sinnvoll auszufüllen. Deshalb wäre es die Aufgabe der Gesellschaft, den Erwerbslosen bei der Bewältigung dieses Zeitüberschusses zu helfen. Dazu sind Erwerbslosenzentren notwendig. Aber nein, es wird gefordert, ständig nur Bewerbungen zu schreiben und der Erwerbsarbeit nachzulaufen. Oftmals ein sinnloses Unterfangen, das zusätzlich frustriert. Erwerbslose müssen aufgebaut werden, Anerkennung und nicht Enttäuschung erhalten, erst dann werden sie auch die Erwerbslosigkeit gut bewältigen, die psychosozialen Belastungen um einvielfaches geringer.
4.) Gesellschaftliche Folgen
Die Existenz der Massenarbeitslosigkeit impliziert nicht nur Folgen für die Erwerbslosen und ihr soziales Umfeld, sondern hat auch Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.
5.) Arbeitswelt
Die Arbeitgeber setzen die Massenarbeitslosigkeit rigoros als Druckmittel im Lohnkampf ein und sie nutzen diese Situation, um Dauerarbeitsplätze in ungesicherte und prekäre Beschäftigungsverhältnisse umzuwandeln. Innerbetriebliche freiwillige Leistungen wie Fahrtkosen- oder Essesgeldzuschuß werden eingespart, Kantinen geschlossen, verbilligte Werkswohnungen aufgelöst usw. Betriebliche Umstrukturierungen werden zu einer Neudefinition der Tätigkeit genutzt und führen in der Regel zu Lohnabsenkungen, gleichzeitig wird aber die Arbeitsintensität und Arbeitshetze gesteigert und eine hohe Anzahl von Überstunden sind keine Seltenheit. Selbst bei Beschäftigten kommt es zu finanziellen Engpässen und Verschuldung. Leiharbeit und Minijobs drängen in die Arbeitswelt. Die prekär Beschäftigten wollen rein in Normalarbeitsverhältnisse und versuchen, sich wohl zu verhalten. Sie nehmen meist widerspruchslos den Ausschluß von tarifvertraglichen Gratifikationen (z.B. Urlaubs- und Weihnachtsgeld) hin. Die Stammbelegschaften versuchen wiederum, sich von den "Reindrängenden" negativ abzugrenzen. Die Gesamtbelegschaft befindet sich in einem entsolidarisierenden Konkurrenzverhältnis, immer weniger wehren sich gegen diese Situation. Im Kern der Arbeitnehmerschaft ist eine weit verbreitete latente Verunsicherung anzutreffen, die mit unkooperativen Orientierungen und Einzelkämpfertum einhergeht. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes wirkt sich auch auf das Gesundheitsverhalten aus. Bei Zunahme der Arbeitslosenzahlen geht der betriebliche Krakenstand zurück. Der notwendige Gang zum Arzt wird unterlassen, die Zahl der Kuranträge geht zurück, die Verweildauer in den Krankennhäusern sinkt, der Anteil der über 50jährigen Arbeitnehmern in den Krankenhäusern sinkt, leichte Arbeitsunfälle werden nicht gemeldet. Die Arbeitnehmer drängen aus Sorge um den Arbeitsplatz an ihren Arbeitsplatz. Besonders betroffen von dem Verdrängungswettbewerb sind Unqualifizierte, die einen großen Anteil der Erwerbslosen stellen. Andererseits wird nicht genügend qualifiziert, Ausbildungsplätze fehlen. Besonders Hauptschüler haben kaum eine Chance auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.
6.) Notkriminalität und sichtbare Armut
Eigentumskriminalität wurde früher als Notkriminalität bezeichnet. So bestand in der Weimarer Republik ein Zusammenhang zwischen hoher Arbeitslosigkeit und hohen Diebstahlsraten. Einige Studien belegen auch heute die Korrelation. So erhöht sich z.B. für sozialrandständige Jugendliche die Gefahr, in eine kriminelle Karriere abzugleiten. Auch bei sozialer Desintegration kann es zu einer anwachsenden Kriminalität kommen. Sieht man in die USA, so ist das Ausmaß von Elend und Kriminalität gravierend. In den USA wurde in den 70er Jahren eine eindeutige Korrelation zwischen dem Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Zunahme der Morde und der Aufnahme in Gefängnisse nachgewiesen. Neben der Eigentums- ist Drogenkriminalität weit verbreitet. Auch wenn in den USA die Erwerbslosigkeit aufgrund neuer prekärer Jobs gesunken ist, das Elend ist geblieben, "working poor". Es hat sich in den USA ein riesiger Gefängniskomplex herausgebildet. Gleichzeitig wurde der Sozialhilfebezug auf 5 Jahre begrenzt. Kriminalpolitik ersetzt Sozialpoltik. Es gibt eine Tendenz zur Kriminalisierung von Armut. Die New Yorker Null-Toleranz-Strategie ab Mitte der 90er Jahre besagte, daß in einem 1. Schritt Schwarzfahrer eingesperrt und Großrazzien gegen Obdachlose durchgeführt wurden. Im 2. Schritt erklärte der Polizeichef der Unordnung auf Straßen und Plätzen den Krieg. Regelwidrigkeiten wie Trinken in der Öffentlichkeit oder Fahrradfahren auf dem Gehsteig wurden streng geahndet und verfolgt. Innenminister Kanther nahm sich diese Null-Toleranz-Strategie zum Vorbild. Er verlangte eine konsequente Verfolgung auch von Bagatelldelikten wie Ladendiebstahl oder Graffiti. Der Einzelhandel besonders im Citybereich beschäftigt eigene Wachdienste, die aktiv gegen Müll, Graffiti, Kleinkriminalität, Drogenhandel und Bettelei vorgeht. In Berlin werden auf den Bahnhöfen monatlich 7000Platzverweise ausgesprochen, 150 Bahnhofsverbote mit bis zu zweijähriger Dauer und ungezählten Anzeigen wegen Hausfriedensbruch. Die privaten Sicherheitsdienste werden ausgebaut. Die Wachdienste haben vor allem die Aufgabe, unliebsame Personen fernzuhalten. Sichtbare Armut soll aus den Innenstädten verdrängt werden. In den Städten ist es unüber-sehbar, die Armut hat zugenommen, Bettler, Obdachlose, Obdachlosenzeitungsverkäufer, Straßenkinder, Straßenmusiker, Drogenszene, Trinker, Stricher usw. Eine Entwicklung, die mit der zunehmenden Erwerbslosigkeit in Zusammenhang gebracht werden muß.
 
7.) Orientierungswandel und Rechtsextremismus
 
Der mit der Massenarbeitslosigkeit immens gestiegene Konkurrenzdruck verändert im gesellschaftlichen Durchschnitt auch die Einstellung der Bevölkerung. Solidarität bestimmt immer weniger den Umgang miteinander. Der allgemeine rücksichtslose Egoismus ist auf dem Vormarsch. Dieser rücksichtslose Egoismus wird als gesellschaftliche Norm immerpositiver anerkannt. Das Denken wird ökonomisiert, man orientiert sich am Kosten-Nutzen-Kalkül. Mit der Zukunft der Arbeit steht auch die Zukunft der Demokratie zur Disposition. Mit dem Abbau sozialpolitischer Sicherungen nimmt das Bedürfnis innerer Sicherheit in der Gesellschaft zu. Das verhilft solchen Rechtspopulisten wie Schill an die Macht. Der Weg zum Rechtsextremismus ist dann nicht weit. Trotzdem wird ein direkter Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus bestritten. Die Hinwendung zu rechtsextremen Parteien hänge weniger von der sozialen Lage als von den Wertorientierungen und politischen Einstellungen ab. Im Westen tendieren laut einer Untersuchung von Stöss/Niedermayer 19% der Arbeiter und 14% der Arbeitslosen zu rechtsextremen Parteien, im Osten 15% der Arbeiter und16% der Selbständigen. Rechtsextreme Einstellungen werden erlernt und Erwerbslosigkeit kann dazu führen, daß sie ausgelöst oder verstärkt werden. Erwerbslosigkeit ist keine Ursache von rechtsextremen Einstellungen. Sie kann aber ausländerfeindliche Einstellungen auslösen oder verstärken. Erwerbslosigkeit kann dazu führen, daß die eigene Wirtschaftslage schlechter eingeschätzt wird, daß in Folge die Unzufriedenheit mit der Politik steigt und in weiterer Folge ausländerfeindliche und antisemitische Einstellungen verstärkt werden, die ihrerseits die Wahlabsicht für rechtsextreme Parteien erhöhen. Wer definiert, was nur ausländerfeindliche oder rechtsextreme Einstellungen sind? Die Gefahr der Verharmlosung ist gegeben. Andererseits sind Erwerbslose nicht nur Täter, sondern zunehmend auch Opfer. Sozial Benachteiligte, wie Obdachlose, Behinderte, Sozialhilfebezieher und andere Randgruppen werden ausgegrenzt, ihnen sollen staatliche Leistungen vorenthalten werden, sie sollen durch Zwangsmaßahmen diszipliniert werden. Gelegentlich werden sie durch Rechtsextreme auch umgebracht.
8.) Spaltung der Gesellschaft
Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. So waren laut 1. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 1998 im früheren Bundesgebiet rd. 42% des Privatvermögens im Besitz der vermögendsten 10% der Haushalte, während den unteren 50% der Haushalte nur 4,5% des Vermögens gehörten. Das oberste Zehntel besaß im Durchschnitt ein Vermögen von rd. 1,1 Mio. DM. Für die untere Hälfte ergab sich dagegen ein durchschnittliches Vermögen von 22 000 DM. In den neuen Ländern war die Ungleichheit der Vermögensverteilung noch größer. Die reichsten 10% der Haushalte besaßen im Durchschnitt rd. 422 000 DM und damit etwa 48% des gesamten Vermögens. Die untere Hälfte der Haushalteverfügte dagegen ebenso wie im früheren Bundesgebiet lediglich über4,5% des gesamten Vermögens. 1995 gab es in Deutschland rund 13 000Einkommensmillionäre, ihr mittleres Einkommen lag bei knapp 3 Mio. DM. Heute gibt es in Deutschland 1,5 Mio. Vermögensmillionäre, d.h. Privat-Haushalten mit einem Nettoprivatvermögen ab einer Million DM. Erbschaften vergrößern die sozialen Gegensätze in der Gesellschaft. Personen mit höheren sozialen Personen erben auch öfter. Rund 8% der Erbschaften betrug mindestens 500 000 DM, wogegen ein Sechstel nicht einmal 5000 DM ausmachte. 10% aller Haushalte haben Immobilien geerbt. Vom Produktivvermögen waren 1995 schätzungsweise 1,3 Billionen DM privates Betriebsvermögen, daß statistisch nicht im Privatvermögen erfaßt ist. Im oberen Zehntel nahmen die Vermögenszuwächse zu, unten ab. Vermögen hängt eng mit dem Einkommen zusammen. Die Ungleichmäßigkeit der Vermögensverteilung beruht zu einem erheblichen Teil auf der Ungleichmäßigkeit der Einkommensverteilung. Die Ungleichheit der Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist in Westdeutschland von 1973 bis 1998 tendenziell gestiegen. Zusammenfassend wird im Bericht festgestellt, dass sich die Ungleichheit der Einkommen langfristig verstärkt hat.
9.) Gesellschaftliche Bewältigung
Die Individualisierung und Stigmatisierung von Erwerbslosen lösen bei den Betroffenen Scham-, Schuld- und Ohnmachtsgefühle aus. Das ist ein Teil politischer und gesellschaftlicher Machtauseinandersetzung. Die Betonung der gesellschaftlichen Leitbilder von Erfolg und Leistung und die Diskriminierung und Diffamierung der Erwerbslosen bilden einen Wirkungszusammenhang. Soziale Ungleichheit wird damit naturalisiert, legitimiert und aufrechterhalten. Das Angebot der Politik und Wirtschaft ist prekäre Beschäftigung: Leiharbeit, Minijobs, Scheinselbständigkeit, Kombilohn usw. Armut trotz Arbeit ist das Ergebnis.
10.) Individualisierung
Die gesellschaftlichen Belastungen durch die Arbeitslosigkeit werden an die betroffenen Individuen weitergegeben. Nicht nur die Erwerbslosigkeit wird individualisiert, sondern die gesamte Gesellschaft unterliegt diesem Individualisierungsschub. Die Individualisierung der Arbeit ist eine Folge der Flexibilisierung der Arbeit. Aus der Normalbiographie wird eine Wahl- oder Bastelbiographie, und damit eine Risikobiographie. Die Arbeit wird zeitlich und vertraglich "zerhackt", der Konsum wird individualisiert. Es entstehen individualisierte Produkte und Märkte. Individualisierung ist eine Form der Modernisierung. Die Möglichkeiten werden für viele größer, aber auch die Risiken. Die Kehrseite der Möglichkeiten ist die Unsicherheit. Die Erwerbsverläufe werden dis-kontinuierlicher. Soziologen wie Ulrich Beck sprechen von einer Pluralisierung der Lebensstile. Den Individuen wird die Verantwortung für ihren Lebenslauf zugeschoben. Eigenverantwortung nennt sich das heute. Dazu paßt auch die Selbstverschuldungsthese in Bezug auf Erwerbslose. Vielfach wird in der heutigen Gesellschaft davon ausgegangen, daß Erwerbslose an ihrer Lage selbst Schuld seien. Die Verantwortung für die Erwerbslosigkeit wird den Betroffenen angelastet, Politik und Wirtschaft werden damit entlastet. Arbeitslosigkeit
 
Ist auch Folge der Arbeitsmarktpolitik, die Vernichtung von Arbeitsplätzen sind immer unternehmerische Entscheidungen. Zudem ist die Akzeptanz der Schuldzuweisung an die Betroffenen in breiten Schichten der Arbeitnehmerschaft anzutreffen. "Wer arbeiten will, der findet auch eine Arbeit" ist ein weit verbreitetes Vorurteil. Oftmals ist das ein psychischer Selbstschutz der vom Arbeitsplatzverlust bedrohten Arbeiter, Ergebnis ihrer eigenen Angst. Es ist aber auch eine Folge der Stigmatisierung der Erwerbslosen.
11.) Stigmatisierung
Viele Erwerbslose erleben ihren Zustand als entwürdigend. Sie haben das Gefühl, weniger wert zu sein. Das liegt daran, daß der Wert eines Menschen über Beschäftigung und Lohnarbeit definiert ist. Das Gefühl, weniger wert zu sein, wird darüber hinaus durch die Abhängigkeit von Bürokratien und durch die so genannte Mißbrauchsdebatte zementiert. Als Gerhard Schröder sagte: "Es gibt kein Recht auf Faulheit" trat er eine Debatte los. Dieser Drückebergerdiskurs ist allerdings alt, es gibt ihn seit der Massenarbeitslosigkeit in der BRD. Zum Beispiel der Drückeberger des Norbert Blüm 1983: "Aber ist es nicht eine moderne Form von Ausbeutung, sich unter den Palmen Balis in der Hängematte zu sonnen, alternativ vor sich hin zu leben im Wissen, daß eine Sozialhilfe von Arbeitergroschen finanziert, im Notfall für Lebensunterhalt zur Verfügung steht ?" Es wird versucht, Arbeitslose in "echte" und "unechte" zu unterteilen. Dabei gibt es bei den "unechten" Erwerbslosen 3 Typen der Argumentationsweise.
 
- Der Arbeitslose darf nicht arbeiten. Hierzu gehören vor allem Frauen und Ausländer. Frauen würden in den Arbeitsmarkt drängen, wären aber nur die Dazuverdienenden. Ausländer, wenn sie nicht gerade hochqualifiziert sind, sollten lieber in die Heimat zurückkehren. Ausländer raus, Ausländerrückführung scheint als soziale Tat. Diese Gruppen werden als "unechte" Arbeitslose moralisch ausgegrenzt. Hier gibt es allerdings Unterschiede in der CDU-und SPD-Politik.
 
- Die nächste Gruppe der "unechten" Arbeitslosen sind Erwerbslose, die nicht arbeiten können. Sie werden als unbrauchbare Arbeitskraft behandelt. Hier wirkt die Problemgruppen- und Qualifikationsideologie. In Zeiten der Vollbeschäftigung gab es allerdings diese Problemgruppen nicht, wie ältere Arbeitnehmer und Behinderte. Erst durch die Massenarbeitslosigkeit sind sie zu Problemgruppen geworden. Verwandt mit der Problemgruppenideologie ist die Qualifikationsideologie. Erwerbslosigkeit würde mit
 
- Mangelnder Qualifikation korrespondieren. Nach der Devise: "Jeder ist seines Glückes Schmied." Wer sich nicht qualifiziere, vertue seine Lebenschance. Und wenn sich alle qualifizieren würden und die Chancen dazu hätten, wo kämen die entsprechenden Arbeitsplätze her? Auch heute sind immer mehr qualifizierte Menschen erwerbslos oder prekär beschäftigt.
 
- Der wichtigste Typus des "unechten" Arbeitslosen ist der Erwerbslose, der angeblich nicht arbeiten will. Er wird als Drückeberger, Sozialschmarotzer oder Faulenzer bezeichnet. Das Erwerbslose arbeitsunwillige Drückeberger seien, gehört zu den beliebtesten Arbeitslosigkeitserklärungen. Arbeitswilligkeit ist immer mehr gebunden an Opferbereitschaft. Wer kündigt, weil ihm die Arbeitsbedingungen oder der Chef nicht passt, erscheint als arbeitsunwillig. Wer Ansprüche an die Arbeit, an Arbeitsbedingungen und -inhalten, Lohn, Sinn oder Produkte hat und nicht jede prekäre Beschäftigung annimmt, erscheint ebenfalls als arbeitsunwillig. In dieser Zeit der Massenarbeitslosigkeit und der Drückebergerideologie wird folgender Satz aus dem "Manifest gegen die Arbeit" zur Utopie: "Muße, notwendige Arbeit und frei gewählte Aktivitäten müssen in ein sinnvolles Verhältnis gebracht werden, das sich nach Bedürfnissen und Lebenszusammenhängen richtet." Nur wer als Erwerbsloser Ansprüche an Arbeit und Leben aufgibt, erscheint in dieser Ideologie als arbeitswillig. Politiker und Unternehmer, die geringere Löhne und weniger Mitbestimmungsrechte fordern, werden in dieser Logik zu Fürsprechern der Erwerbslosen umfunktioniert. Und viele Erwerbslose basteln selber an dieser Drückebergerideologie. Sie fühlen sich als Versager, vertuschen ihre Erwerbslosigkeit oder definieren diese als "pfiffige" freie Entscheidung um. Nach einiger Zeit werden viele Erwerbslose apathisch und resigniert, produzieren Persönlichkeitseigenschaften, die als Beweis ihrer Arbeitsunwilligkeit herangezogen werden.
12.) Prekäre Beschäftigung
Seit den 80er Jahren verändern sich die herkömmlichen Arbeitsverhältnisse radikal. Vormals geschützte wird zur ungeschützen Arbeit, bezahlte Arbeit wird schlechter entlohnt, die unbezahlte Arbeit wächst an. Prekäre Beschäftigung ist das Fehlen arbeits-, sozial- und tarifrechtlichen Schutzes für die Beschäftigten. Das ist Arbeit, die nicht auf Dauer angelegt ist und nicht langfristig existenzsichernd ist. Zur prekären Beschäftigung gehören die Bereiche Teilzeitbeschäftigung, geringfügige Beschäftigung, Scheinselbständigkeit, Heimarbeit, befristete Arbeit, Leiharbeit u. a. Das, was die Wirtschaft begonnen hat, soll mit Hilfe der Arbeitsmarktpolitik weiter ausgebaut werden. Ende der 90er Jahre kam mit Clinton und dem Schröder-Blair-Papier das Reden vom "aktivierenden" Sozialstaat auf. Die Sozialpolitik des "aktivierenden" Sozialstaates wird zur Arbeitsmarktpolitik. Von welfare zu workfare. Die Niedriglohnstrategie ist ein Teil der "workfare" Philosophie. Im Schröder-Blair-Papier wurde ein Sektor mit niedrigen Löhnen gefordert, um gering Qualifizierten Arbeitsplätze zu verschaffen. Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit seien besser als gar keine Arbeit, heißt es da. Mit dem so genannten Sparzwang der öffentlichen Haushalte werden auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Richtung prekärer Beschäftigung verändert. Im Arbeitslosenreport 1996 wurden ca. 1,6 Mio. Erwerbstätige ausgewiesen, die ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse hatten. Diese Zahl steigt beständig. Die Qualität prekärer Beschäftigung hat sich gegenüber den 80er Jahren enorm verändert. Ursachen dessen sind vielfältige Rationalisierungsprozesse, die Arbeitszeitflexibilisierung und die Umstrukturierung von ganzen Industriezweigen. Fortschritte in Wissenschaft, Technik, Technologie und Organisation machten viele industrielle Industrien einfach überflüssig. Indiz für eine neue Qualität von prekären Beschäftigungsverhältnissen ist die Vielfalt von Berufen und Qualifikationsstufen, in denen in den 90er Jahren solche Arbeitsverhältnisse auftreten. Eine andere Ursache ist die anwachsende Massenarbeitslosigkeit. Arbeitgeber können Beschäftigte eher zu Lohnverzicht oder in Teilzeitarbeitsverhältnisse zwingen. Prekäre Beschäftigung wird immer "normaler". Auch die Erwerbslosigkeit soll mit Hilfe prekärer Beschäftigung verringert werden. Die theoretische Grundlage wurde dazu 1998 im Bayerisch-Sächsischen Zukunftsbericht vorgelegt. Die Faktoren Kapital und Wissen werden danach immer wichtiger, die Arbeit immer unwichtiger. Zum Faktor Arbeit gehören vor allem Unqualifizierte, ihr Ausweg ist Niedriglohn. Den müsse man durch die strikte Anwendung von Zumutbarkeitsanforderungen und das Senken der Sozialhilfe durchsetzen, so der Bericht. Damit verschärfte sich die Debatte um den Niedriglohnsektor, obwohl es diesen in Deutschland schon längst gab. Nun kam das Bündnis für Arbeit auf den Plan. Die bedeutendste Rolle hatte darin die Benchmarking-Gruppe. Sie erhielt den Auftrag, arbeitsmarktpolitische Strategien international zu vergleichen und Optionen für eine Verbesserung der Erwerbschancen von Geringqualifizierten vorzulegen. Es wurde von der Gruppe ein Niedriglohnsektor gefordert. Nicht eine aktive Arbeitsmarktpolitik könne eine beschäftigungspolitische Wende hervorrufen, das Instrument einer neuen Arbeitsmarktpolitik müsse der Markt sein. Die Denkweisen müßten sich ändern, jeder Arbeitsplatz sei besser als keiner. Die sich abzeichnende Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien und der rasche Entzug von Leistungen bei Ablehnung eines Beschäftigungsangebotes müßten konsequent verwirklicht werden, so die Benchmarking-Strategen Streeck und Heinze. Auch Zeitarbeitsfirmen müßten verstärkt eingesetzt, ein höheres Maß an Flexibilität verlangt werden.
 
Von der Kommission wurden vor allem 2 Modelle untersucht. Das angloamerikanische Modell der Lohnspreizung und der unregulierten Arbeitsmärkte und das Sozialmodell Europa- Korporatismus, Kompromiss und Konsens- mit den Beispielen Niederlande und Dänemark. In den USA fallen ca. 20% der Beschäftigten unter die Kategorie working poor. Die Löhne im unteren Bereich sind weiter gesunken, im oberen Bereich stark gestiegen. Das führt zu einem Auseinanderklaffen der Lohnspreizung und zu großer sozialer Ungleichheit. Das Einkommen von 80% aller Beschäftigten ist dort seit 1980 gesunken. 64,2% aller US-Amerikaner, Kinder und alte Leute eingerechnet, haben mindestens eine Teilzeitstelle. In Holland sind Lohnzurückhaltung, Sozialabbau und aktive Arbeitsmarktpolitik die 3 Säulen des Poldermodells. In Holland arbeiten 38% aller Erwerbstätigen als Flexworker. In fast jedem kleinen Ort befinden sich Zeitarbeitsfirmen. 3 Hauptmerkmale der dänischen aktiven Arbeitsmarktpolitik sind die hohe Flexibilität, die frühen Aktivierungsphasen und die Jobrotation. Die Bezugsdauer von Sozialleistungen wurde verringert. Es herrscht Arbeitspflicht.
 
Schon zuvor war in der öffentlichen Diskussion, welches Modell zu bevorzugen sei. Wolfgang Gerhardt von der FDP schrieb, wenn Niedrigqualifizierte keine Beschäftigungschancen hätten, würde sich eine Unterschicht von Leistungsempfängern mit allen politischen Anfälligkeiten zu Extremen etablieren. Wenn man das nicht wolle, müße man das amerikanische Modell der Lohnspreizung kopieren oder Niedriglöhne bezuschussen. Im FDP-Wahlprogramm wurde ein Bürgergeld gefordert, BDA und Arbeitgeberpräsident Hundt forderten Kombilöhne. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages sagte, Kombilohn sei ein "trojanisches Pferd, daß wir bei den Gewerkschaftern und Sozialpolitikern aufstellen". Über den Kombilohn sollte der tabuisierte Bereich aufgebrochen werden. Die Kombilohn-Debatte war in aller Munde. Eine neofeudale Dienstleistungsgesellschaft mit haushaltsnahen und personenbezogenen Diensten sollte so entstehen, das "Ideal des Dienens" wieder heraufbeschworen werden. Die Diskussion um den Niedriglohnsektor wurde intensiv geführt. Aus der Debatte gingen einige Modellprojekte hervor. Im Jahre 2000 starteten auf Bundes- und Landesebene eine Reihe von größer angelegten Modellversuchen zur Beschäftigungsförderung.
 
- Das Modell der Saar-Gemeinschaftsinitiative (SGI-Modell)
 
Hier geht es um die Subventionierung des Arbeitgeberbeitrages zur Sozialversicherung. Der Modellversuch wird im Saarland und in Chemnitz erprobt. Bis zu einem Stundenlohn von 10 DM werden die Sozialversicherungsbeiträge voll übernommen. Bei einem Stundenlohn zwischen 10 und 18 DM ist dieser Zuschuss degressiv gestaffelt. Je geringer der Lohn, desto höher der Zuschuss. Das schafft den Anreiz zur Schaffung von Arbeitsplätzen mit Löhnen um 10 DM pro Stunde. Es kann eine Verdrängung von regulären Arbeitsplätzen durch geförderte Beschäftigte ausgelöst werden. Mitnahmeeffekte bei den Arbeitgebern sind zu erwarten.
13.) Erwerbslosenarbeit und klassische Ansätze der sozialen Arbeit mit Erwerbslosen
Zum Thema Erwerbslosenarbeit tritt in Deutschland Friedhelm Wolski-Prenger als Experte auf. Zusammen mit Dieter Rothardt war er z.B. Autor des Buches "Soziale Arbeit mit Arbeitslosen", das 1996 im Beltz-Verlag erschien. Dort werden die Geschichte der Erwerbslosenarbeit sowie Arbeitslosenbildung und -beratung beschrieben.
 
Herkömmlich versteht man unter Erwerbslosenarbeit aber folgendes:
 
- Beratung in Rechtsfragen
 
- Beratung und Hilfestellung bei psychischen Problemen
 
- Bildung von Selbsthilfegruppen und Gesprächskreisen
 
- Hilfe bei der Arbeitssuche (Bewerbungen)
 
- Zeitorganisation (Angebote zur Beschäftigung und Fortbildung)
 
- Politische Arbeit
 
Diese Angebote sind möglich, werden aber nur selten in der Gesamtheit realisiert. Träger, die sich auf die Arbeitssuche konzentrieren, sind meistens an politischer Arbeit nicht interessiert, weil sie Erwerbslosigkeit als vorübergehenden Zustand betrachten, den man mit der Arbeitsaufnahme bewältigen kann. Politische Projekte sind dagegen weniger an einer Beschäftigungssuche interessiert, weil ihre Zielgruppe kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat und prekäre Beschäftigung abgelehnt wird. etc. Meistens gelingt es nicht, auf die Heterogenität der Zielgruppe einzugehen und unterschiedliche Bedürfnisse gleichzeitig zu befriedigen. Demzufolge bilden sich aufgrund der unterschiedlichen Ansätze auch verschiedene Besuchergruppen heraus. Die Träger der Erwerbslosenarbeit unterscheiden sich beträchtlich.
14.) Geschichte der Erwerbslosenarbeit in Deutschland seit den 70er Jahren
Die Evangelische Kirche hat als erste Organisation in Deutschland das Problem der Massenarbeitslosigkeit erkannt und Gegenmaßnahmen ergriffen. Die ersten Arbeitslosenprojekte gab es 1974/75. 1977 existierten 50 zumeist evangelische Projekte. Allerdings gab es seit 1976 auch eine der ersten unabhängigen Erwerbsloseninitiativen, die AGAB (Aktionsgemeinschaft arbeitsloser Bürger in Bremen). Die erste Gruppe, die sich dem sozialrevolutionären Ansatz verpflicht fühlte und sich selbst als "autonome Sozialbewegung" verstand, nannte sich "Initiative Arbeitsloser- Sozialhilfeempfänger- Jobber- Ausländer". Die Gründung erfolgte 1980/81. Das Symbol der autonomen Jobber- und Erwerbsloseninitiativen war die Schwarze Katze. Initialzündung zur Gründung von Erwerbslosenprojekten hatte der 1. Bundeskongreß der Erwerbslosen 1982. In dem Zeitraum 1982-84 verdoppelte sich die Anzahl der Projekte von 250 auf 540. Bis zum 2. Bundeskongreß der Erwerbslosen 1988 erhöhte sich die Anzahl auf 1125 Arbeitslosenprojekte. Einen weiteren Schub gab es dann mit der Wiedervereinigung. Auch in den neuen Bundesländern wurde das Thema Erwerbslosigkeit relevant, es entstanden Arbeitslosenzentren. Erster bedeutender Träger von Arbeitslosenarbeit in der ehemaligen DDR war der ALV (Arbeitslosenverband). Im Gegensatz zu den unabhängigen Initiativen, die von unten wuchsen, wurde dieser Verband von oben nach unten aufgebaut. Der Präsident des Arbeitslosenverbandes Klaus Grehn nutzte seine Kontakte und die Infrastruktur vo SED und FDGB, um in nahezu allen Kreisstädten Beratungsstellen oder Arbeitslosenzentren zu installieren. Die Mitarbeiter kommen häufig aus dem akademischen oder Verwaltungsbereich und haben als ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr, eine Nähe zur ehemaligen SED, heute PDS ist zumeist gegeben, Grehn war PDS-Bundestagsmitglied. Aus Kritik an dem Zentralismus des ALV spalteten sich die Arbeitsloseninitiativen Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ab. Auch kirchliche Erwerbslosenarbeit entstand in den neuen Bundesländern, gestaltete sich aber schwierig. Eine 4.Form der Arbeitslosenarbeit neben den kirchlichen, unabhängigen und ALV- Projekten ist die gewerkschaftliche Erwerbslosenarbeit. Die Organisation Erwerbsloser ging an den Gewerkschaften lange vorbei, sie entdeckten das Problem Erwerbslosigkeit relativ spät. 1985 wurde die "Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen" geschaffen. Das ist ein Informationsbüro, das den innergewerkschaftlichen Informations- und Erfahrungsaustausch in Gang setzte und am Leben erhielt. Im Jahre 1995 existierten 515 gewerkschaftliche und gewerkschaftsnahe Projekte. 1/3 aller Arbeitslosenprojekte seien heute gewerkschaftsnah. Im gewerkschaftlichen Selbstverständnis dominieren aber immer noch die vollzeit- und dauerbeschäftigten Facharbeiter. Erwerbslose haben kaum Einfluss in denGewerkschaften.
15.) Beratung
Ursprünglich hatte die Beratung auch das Ziel, neue Mitglieder für die aktive Arbeit zu gewinnen. Das ist meistens nicht gelungen. Die Ratsuchenden erhoffen sich konkrete Hilfestellungen für ein individuelles Problem, ändern aber ihre Bewältigungsstrategien nicht und sind zumeist nicht für die Erwerbslosenarbeit zu gewinnen. Viele ehrenamtliche erwerbslose Berater verloren daher ihr Interesse an der Beratungsarbeit, weil sich die politischen Ziele selten erfüllten. Es setzte ein Trend zur Proffessionalisierung der Beratungsarbeit auf den hauptamtlichen Bereich ein. Ob ehrenamtlich oder hauptamtlich, zumeist ist es eine parteiische Beratungsarbeit, für die die Interessen der Betroffenen im Vordergrund steht. Allein das es diese Beratung gibt, ist schon Anklage genug.
 
Zumeist dient diese Beratung als Hilfe zur Selbsthilfe. Ziel ist es, die Selbsthilfepotentiale freizulegen und zu mobilisieren. Die Zielgruppe ist heterogen, oft sind es Dauerarbeitslose.
 
Die Beratung in sozialrechtlichen Fragen ist notwendig, aber häufig nicht hinreichend. Es sind auch Hilfen bei psychischen und sozialen Krisen notwendig.
16.) Die sozialrechtliche Beratung
Nicht selten werden zustehende Sozialleistungen vorenthalten, Gesetze und Verordnungen zuungunsten der Erwerbslosen ausgelegt oder Hilfesuchende würdelos behandelt. Zum Teil ist das auf die Unfähigkeit der Sachbearbeiter oder die Stigmatisierung der Erwerbslosen durch die Sachbearbeiter zurückzuführen. Häufig wird den Erwerbslosen Arbeitsunwilligkeit unterstellt. Andererseits sind die Fallzahlen für Sachbearbeiter immens gestiegen, was zu einer Überlastung führt. Da die Sachbearbeiter ihrer Pflicht zur Beratung nicht nachkommen, sind unabhängige Beratungsstellen notwendig. Für diese ergeben sich aber auch Grenzen und Probleme.
Die Ursache für die Hilfesuchenden kann nicht gelöst werden, nämlich fehlende Arbeit vermittelt werden. Die politisch gesetzten Grenzen der sozialen Absicherung können nicht gesprengt werden, so bleibt Existenzgeld eine Utopie. Oftmals wird durch die individualisierte Beratung im stillen Kämmerlein die gesellschaftliche Strategie der Individualisierung noch unterstützt. Aufgrund der Komplexität der Problemstellungen müssen die Betroffenen häufig an andere Stellen verwiesen werden. (Drogen-, Schuldner-Psychiatrische Beratung etc.) Wie in einem Bericht auf der 1. Armutskonferenz der Erwerbsloseninitiative "Hängematten" zu "Sozialhilfeberatung und ihre Grenzen" dargelegt wurde, gibt es Betroffene, die keine Hilfe aufgrund dieser Komplexität mehr annehmen, sich mit Selbstmordphantasien tragen etc. Hier ist eine sozialrechtliche Beratung unzureichend. Das ist das Dilemma dieser Beratungsform. Oftmals werden rechtliche Probleme vorgeschoben, was darunter lagert, ist ein ganze Problempalette. Das müssen Berater oft mit aushalten, das macht diese Beratung so anstrengend und schwierig neben den ständigen Gesetzesänderungen und der Wissensaneignung, die Berater zu bewältigen haben.Die unabhängigen Erwerbslosenprojekte haben sich zunehmend auf die sozialrechtliche Beratung konzentriert. Dadurch professionalisierten sie sich oftmals seit Anfang der 80er Jahre in 20jähriger Beratungspraxis zu Experten. Beratung ist auch die wichtigste Finanzierungsquelle der Projekte. Politische Arbeit tritt vor allem in Form der Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung auf. Bundesweite Vernetzungsstrukturen wurden mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG Shi) und der Bundesarbeitsgemeinschaft Erwerbslose (BAG Erwerbslose) geschaffen. Während die BAG Erwerbslose vor allem als politisches Organ bezüglich Protesten auftritt, hat sich die BAG Shi zum Experten für Sozialhilferecht gemausert und führt den Kampf gegen gesellschaftliche Verschlechterungen für Sozialhilfebezieher. Sowohl bei der BAG Shi als auch in der Erwerbslosenzeitung quer sind die 20jährigen Erfahrungen in Beratungsarbeit und das herausgebildete Expertentum sichtbar. Allerdings ist dieser Kampf im "Paragraphendschungel" oftmals ein Kampf gegen Windmühlen. Seit den 80er Jahren findet Sozialabbau statt, ohne daß dieser aufgehalten werden konnte. Daher kommt gerade aus dieser Ecke die Forderung nach einem Existenzgeld. Sich nur auf Beratung zu konzentrieren, bedeutet auch, von den Paragraphen "aufgefressen" zu werden. Erwerbslose, die sich nicht für Gesetzestexte interessieren und trotzdem aktiv werden wollen, werden von diesem Expertentum abgeschreckt. Der große Stellenwert der Beratung und die Konzentration darauf bindet viele Kräfte und lähmt andere Bereiche. Erwerbslosigkeit ist ein vielfältiges Problem und nicht nur an Gesetzestexte gebunden. Sozialrechtliche Beratung ist sehr wichtig, kann aber nicht alles sein. So wurde z.B. in der Erwerbsloseninitiative "Hängematten" die Erfahrung gemacht, daß gerade ein Offener Treff, eine Freizeit- und Kulturgruppe, ein kostenloser Sprachkurs und Veranstaltungen guten bis sehr guten Anklang fanden.
17.) Die psychosoziale Beratung
Oftmals reicht eine rechtliche Beratung nicht aus. Die Verbesserung der finanziellen Situation wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. Die Verbesserung der psychischen Situation kann sich auch positiv auf die materielle Situation auswirken. Der Betroffene ist eher in der Lage, Rechtsansprüche durchzusetzen bzw. eine Beschäftigung aufzunehmen. Es muß eine Bereitschaft zu selbstbewußtem Eintreten für die eigenen Interessen hergestellt werden. Betroffene schieben häufig rechtliche Probleme vor. Das sind Strategien des verdeckten Hilfesuchens, die durch die Angst vor Stigmatisierung und Therapeutisierung gekennzeichnet sind. Psychosoziale Belastungen ergeben sich aber auch aus den Erfahrungen der Hilflosigkeit gegenüber der Sozialbürokratie.


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